Über eigene Werke
Abstract
Der folgende Vortrag wurde von Krenek als Einführung in eine Studioveranstaltung des Nordwestdeutschen Rundfunks am 7. Dezember 1951 in der Sendereihe „Das neue Werk“ gehalten. Krenek wirkte in dieser Veranstaltung auch als Dirigent und Pianist seiner eigenen Werke. Das Programm stellt die aus einer frühen, atonalen Schaffensperiode stammende Symphonische Musik op. 11 (1923) zwei zwölftönigen Sonaten (3. Klaviersonate, op. 92 Nr. 4; Sonate für Violine und Klavier, op. 99) gegenüber. Krenek bespricht die Werke sowohl hinsichtlich ihrer unterschiedlichen handwerklichen Gestaltungsprinzipien verortet sie aber auch im biographischen Entstehungskontext. Dabei grenzt er die im Programm gespielten Werke (und auch sich selbst) von seiner kurzen, auf Schubert zurückgreifenden neoklassizistischen Schaffensphase ab, und verteidigt gerade die Zwölftonmethode gegen häufig bemühte Vorwürfe.
Vortrag fürHamburg Über eigene Werke
lect
Die Werke von mir, die Sie heute abend hören sollen, liegen ihrer Ent-
stehungszeit nach weit auseinander. Die
Als ich die
Das Stück hat die Kennzeichen des frühen atonalen Stils, wie
er damals aus den Werken des mittleren
bekannt war, das heißt, die Musik läßt sich auf kein bestimmtes,
tonales Zentrum eindeutig zurückführen, und sie bedient sich
nicht Prinzipien der um das Wort sowohl als die Sache,
die es bezeichnet, wurde fast von jedermann abgelehnt.
Die Sache, nämlich die unter diesem jedem frei, obschon es
noch niemandem gelungen ist, noch gelingen wird, diese Musik
aus der Welt zu schaffen. Das Wort "atonal" mag als eine
unlogische Sprachbildung kritisiert werden, solange man unter
Tonalität, jede mögliche Art von musikalischem Zusammen-
hang versteht. In diesem Fall kann es natürlich keine atonale
Musik geben, oder das, was so bezeichnet wird, ist keine Musik
Genau diese logische Falle wurde von dem Mann bezweckt, der
das Wort "atonal" erfand - es war nicht etwa einer der Komponi-
sten die diese Musik praktizierten, sondern ein Kritiker, der seinem
Mißfallen und seiner Erbitterung über diese Musik bleibenden
Ausdruck verschaffen wollte, was ihm ja auch gelungen ist.
"Atonal" ist meisterhaft organisierte Musik der letzten 350 Jahre
bezeichnen, so
Wenn ich meine imitatorische polyphone
Technik. Die Form der beiden Sätze folgt nicht so sehr
Prinzip entwickelten
wiederholt wird. Das ist besonders augenfällig im ersten Satz,
doch lassen sich diese Gestaltungsprinzipien auch in dem
an sich lockerer gefügten zweiten Satz klar erkennen. In
der damals bekannten waren
Um die Mitte der zwanziger Jahre setzte jene Reaktions-
bewegung ein, von der man hoffen kann, daß sie in diesen Tagen
zu einem zu kommen scheint noch ab, der zumdamit denen er sich zum intel-
lektuellen Ergötzen der Kenner hinter
blitzschnell wechselnden Verkleidungen versteckt. Für
lange Zeit sind ihm hier fast alle westlichen Komponisten
gefolgt und man verdankt dieser Richtung eine Unzahl
mehr oder weniger eliganter, brilliant orchestrierter, in
einigen Fällen unterhaltender, aber fast stets spielerischer
und gewichtloser Kompositionen. Der deutsche Neoklassizis-
mus war dem Nationalcharakter entsprechend mehr ar-
beitsam und angestrengt und suchte, durch die Rückkehr
zu den musikalischen Formen der vorklassischen Zeit
einen Gesellschaftszustand heraufzubeschwören, in dem die
so bedrohlichen Krisensymptome unserer Zeit nicht vorhanden,
gewesen zu sein schienen. Obwohl das unter der Devise der
Kampfansage an die Romantik geschah, lag dem Ganzen doch
die sehr romantische Vorstellung zugrunde, daß wenn man nur mit Entschlossenheit so täte, als ob nichts geschehen wäre, man das Ge- schehene vielleicht ungeschehen machen könnte.
In allen diesen Bestrebungen handelte
Ich selbst habe mich dem neoklassischen Stil in einigen
wenigen Arbeiten um 1924 ein wenig angenähert. Von der reakti-
onären Welle bin ich keineswegs freigeblieben, doch ging ich nicht
so weit zurück wie die anderen, dafür aber umso gründlicher,
indem ich bei bis
Wenn Sie heute abend meine späteren Werke hören, würde
ich gern wissen, so Sie aus ihnen entnehmen
könnten, daß ich durch jene romantische Periode überhaupt hin-
gegangen bin. Ich weiß, daß manche Beurteiler den Bruch so er-
heblich finden, daß sie ärgerlich erklären, man könne mir überhaupt
nichts glauben. Andere sagen, überhaupt nie von
Der wesentliche Berührungspunkt ist wohl die Tonsprache.
Auch in den neuen Werken ist sie atonal, insofern als die Dur- und Moll-
Tonalität nicht vorhanden ist und die Klangelemente, die Akkorde, nicht
durch funktional-harmonische Beziehungen miteinander zusammen-
hängen. Der Zusammenhang ist hier durch eine besonders dichte
motivische und thematische Verflechtung hergestellt, und die be-
sondere Dichte dieses Gewebes beruht darauf, daß alle Elemente
der auf
Geistesgeschichtlich ist
Schritt nicht getan wurde, um die atonale Musik äußerlich er-
folgreicher zu machen, liegt auf der Hand. Jene, die auf
jeden Fall dagegen sind und die frühe atonale Musik abge-
lehnt haben, weil sie durch rücksichtslose Verwerfung aller
Regeln anarchisches Chaos geschaffen habe, lehnen sie jetzt
ab, weil widerlegen zu wollen, da man jemanden, der etwas
nicht mag, kaum durch logische Gründe dazu bringen kann,
es zu mögen. Da aber die Ablehnung vielfach nicht instinktiv,
sondern auf
zum
Was nun die Zwölftontechnik als solche betrifft, so
kann sie nur einem sehr oberflächlichen Blick als ein
mathematisch gebundenes System sich darstellen. Ich glaube,
daß dieser Vorurteil im Wesentlichen darauf zurückgeht,
daß in der Bezeichnung dieser Technik ein Zahlwort vor-
kommt. Wenn man dieses Verfahnen etwa als "Kompo-
sition mit Grundgestalten" bezeichnet hätte, würde der
Name ganz andere Assoziationen hervorrufen und
kein Mensch würde an Mathematik denken.
In Wirklichkeit geschieht hier nichts anderes, als daß das Material der atonalen Musik, die zwölf Töne, in einer
7/
funkelnagel-
neue Idee. Das Prinzip der Keimzelle, aus der der Gesamtorganis-
mus des Werkes sich entwickelt, kann aufs deutlichste in
Gestaltungsweise des Gregorianischen Chorals gefunden werden.
Freilich, wenn man diese historische entwirftbe-
trachtungen
Ein ernsterer Einwand ist, daß die Einheitlichkeit
des Musikwerkes, um derentwillen die Zwölftontechsich offenbar
erfunden werde, auch ohne diese erzielt werden kann, da
der Komponist, wenn sein Wille auf Einheitlichkeit gerichtet
ist, ja ohnedies alle Mittel zur Verfügung hat, um sie zu
verwirklichen, und da diese Einheitlichkeit in den Werken
vieler großer Meister ohne Zwölftontechnik zustande gekom-
men sei, so könnten es die zeitgenössichen Komponisten ebenso
versuchen. Dagegen ist nichts zu sagen, außer daß, wenn
wir anerkennen, daß dem Komponisten alle Mittel zur Ver-
fügung stehen, sich unter diesen auch die Zwölftontechnik
befindet, und wenn es ihm aus irgendeinem Grunde prak-
tisch erscheint, dieses ganz bestimmte Mittel zu benützen, so
spricht das nicht gegen ihn, insofern als sich das Mittel zur
Schaffung lebendiger Musik als zweckmäßig ausweist.
Die Situation, die sich bei der Erschließung des atonalen Neu-
landes ergab, hat es nahegelegt, die gewünschte Einheitlich-
keit zunächst mit besonders starken, tief eingreifenden Mitteln
anzustreben. Das mag nach einer gewissen Zeitspanne nicht
mehr als zwingende Notwendigkeit erscheinen, ja man kann
sich auch vorstellen, daß das Ideal der streng gefügten logischen
Einheitlichkeit sich wandelt und anderen Vorstellungen
Raum gibt. Wesentlich scheint jedoch, daß ein neuer Anfang
nicht unter Umgehung der Erfahrungen von Atonalität
und Zwölftonmusik gemacht wird, wie es die Neoklassizisten
versuchen, sondern auf diesen Erfahrungen begründet ist.
Solange Ordnung und Disziplin als erstrebenswert gelten,
erscheint die Zwölftontechnik trotz ihrer regressiven Züge
als eine fortschrittliche Bewegung, da sie eine neue Ordnung
verspricht und nicht auf die Wiederherstellung der äußeren
Facade vergangener Architekturen abzielt.
Die zwei Sonaten, die Sie später hören werden, bedienen
sich einer Form der Zwölftontechnik, die von den ursprünglich
bei
Für mich selbst will ich noch einzufügen, daß ich durchaus nicht in allen meinen späteren Arbeiten das Bedürfnis emp- funden habe, die Zwölftontechnik anzuwenden. Da ich in allen
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diesen Werken bisher die vorher diskutierte Ein-
heitlichkeit der Faktur angestrebt habe, glaube
ich kaum, daß die Kompositionen, denen
Zwölftonreihen durchgehend zugrunde
liegen, sich von den anderen wesentlich
unterscheiden.
Zuletzt darf ich noch meiner Genugtung
wesentliche Einblicke in die schöpferischen
Prozesse unserer Zeit zu gewähren. Das ist
ein Privileg, um das in und besonders außerhalb die
Jedoch, genug der Worte - lassen Sie uns jetzt Taten sehen und Musik hören.