„…das ist wie eine Reise. Am nächsten Tag wird es ein völlig neues Abenteuer“

Interview

Der mexikanische Komponist Enrique Mendoza Mejía war im Jänner 2019 als Composer in Residence im Rahmen von AIR-Artist in Residence Niederösterreich zu Gast in Krems. Im Zentrum seines Aufenthalts stand die Arbeit am Buchla Modular Synthesizer aus dem Nachlass von Ernst Krenek.

Alethea Neubauer sprach mit ihm über seine Faszination für die analoge Klangsynthese, seinen Werdegang und sein neuestes Projekt.

Wie sind Sie zum Komponieren gekommen? Erzählen Sie uns von Ihrer musikalischen Laufbahn.

Ich habe erst spät zur Musik gefunden. Mit fünfzehn Jahren habe ich begonnen E-Gitarre zu spielen. Besonders die Rockmusik und ihre Energie haben mich begeistert. Meine Eltern waren keine Musiker, aber haben viel Popmusik aus Mexiko und England gehört. Mein Vater war ein großer Beatles-Fan. Ich hatte damals auch eine Metal-Band. Mein Gitarrenlehrer hat dann begonnen Komposition zu studieren. Er war ein Vorbild für mich und ich wollte ihm folgen. Ich habe davor wenig Kontakt mit Klassischer oder Neuer Musik gehabt. Das Kennenlernen dieser Musik war für mich eine große Bereicherung und mit achtzehn Jahren habe ich mich für ein Bachelorstudium in Komposition entschieden. Ich habe danach viele Transkriptionen für Komponisten in Mexiko gemacht, wie ein Kopist die Partituren und Stimmen in eine Notationssoftware eingegeben. Die ältere Komponistengeneration hat noch alles händisch aufgeschrieben. Aber dann haben sie selbst gelernt mit der Software umzugehen und ich musste mir eine neue Arbeit suchen. Zu diesem Zeitpunkt habe ich dann beschlossen, in den Niederlanden meinen Master zu machen.

Wann haben Sie Ihr erstes Werk geschrieben?

Mein erstes Werk habe ich gegen Ende meines Bachelorstudiums komponiert. Davor habe ich schon mit einem Freund für die Metal-Band Lieder geschrieben, aber diese zähle ich nicht zu meinen ersten Kompositionen. Also 2001/2002 komponierte ich ein Trio für Klavier, Violoncello und Klarinette. Das nächste war ein Holzbläserquartett. Ich hatte das große Glück, dass die Stücke in Mexiko aufgeführt wurden. Es gibt sehr wenige Möglichkeiten aufgeführt zu werden.

Wann und wie sind Sie mit elektronischer Musik in Berührung gekommen?

Das war der zweite Moment in meinem Leben, wo mir quasi eine Türe geöffnet wurde - das war in den Niederlanden. Ich habe immer schon eine Faszination für Elektronisches gehabt, aber da kannte ich die zeitgenössische elektronische Musik noch nicht. Ich habe zwar populäre elektronische Musik wie The Prodigy oder Chemical Brothers gehört, die ich immer noch gerne mag, aber am Konservatorium habe ich dann eine der wichtigsten Personen in meinem Leben getroffen, den Professor Jos Zwaanenburg, der vor allem im Bereich Live Electronics eine Koryphäe ist. Er hat mich zu STEIM, dem Studio for Electro-Instrumental Music in Amsterdam, mitgenommen. Bei ihm habe ich dann viele Kurse zu Sampling und andere Techniken der Musikkonstruktion gemacht. Das war für mich ein absoluter Türöffner, weil ich sehr in der Notation und im harmonischen Denken gefangen war. Mir hat als Kind die klassische Ausbildung gefehlt. Die elektronische Musik hat mir eine völlig neue Dimension des Umgangs mit Klang ermöglicht. Da konnte ich dann einfach nicht mehr aufhören. Das muss um 2008 gewesen sein.

Denken Sie, dass der Zugang zu elektronischer Musik generell offener ist als zu klassischer Musik?

Ja, in vieler Hinsicht. Dennoch versuche ich mich in Form und Struktur zu begrenzen. Mir ist vor allem in den Niederlanden aufgefallen, dass elektronische Musik zwar großartige Klänge verwendet, aber dass sie nicht immer in bester Weise dargeboten wird. Sie ist oft einfach sehr lang, ohne Orientierungspunkte, was meiner Meinung nach schlichtweg langweilig werden kann. Ich habe über mein Schaffen viel reflektiert und egal welche großartigen Bilder man erzeugt und wie verrückt die Klänge auch sein mögen, Form ist für mich sehr wichtig. Ich stelle gerne eine Analogie zum Kochen her. Man hat die besten Zutaten für einen Hamburger, aber wenn das Fleisch und der Senf außerhalb des Burgerbrötchens sind, wird es kein großes Vergnügen den Burger zu essen. Also egal wie ausgefallen oder aber traditionell die Musik ist, sollte man die Präsentation und das Publikum nicht außer Acht lassen. Das beschäftigt mich sehr. Meinen Master habe ich in Komposition für Film gemacht und ich begeistere mich schon lange für narrative Prozesse: Jedes Stück soll den Hörer auf eine Reise mitnehmen. Es braucht einen Anfang und eine Entwicklung. Auch die Wiederholung ist für mich ein wichtiges Element. Ich verwende bei elektronischer Musik auch manchmal klassische Formen, obwohl man das vielleicht gar nicht so hört. Für mich ist es eine Art, das ausgefallene Material zu ordnen. Sonst bin ich sehr frei, aber ich brauche eine richtige Struktur, damit es auch für das Publikum interessant wird, und natürlich auch für mich. Ich höre meine eigene Musik gerne. Es sollte also immer eine Reise sein.

Was fasziniert Sie an der Arbeit mit Synthesizern?

Ich experimentiere gerne mit den Extremen: von einem Extrem ins andere Extrem zu gehen, aber auch eine Balance zu finden. Viele Künstler beschränken sich auf die Entscheidung vollkommen digital zu arbeiten, die anderen nur analog. Was ich seit einigen Jahren versuche, ist einen Mittelweg zu finden. Mich fasziniert die Arbeit mit dem Synthesizer, weil sie menschliche Interaktion erfordert: Kabel anzuschließen, Knöpfe zu drücken, Drehregler und Fader zu bewegen. Man kann verschiedene Parameter gleichzeitig steuern und ich mag diesen direkten Kontakt. In der digitalen Klangproduktion bleibt man bei der Verwendung der Maus, die einem außerdem die Einschränkung gibt, dass man immer nur eine Sache zeitgleich machen kann. Das empfinde ich als sehr limitierend. Ich habe daher begonnen kleine modulare Mini-Synthesizer zu bauen, um Klänge zu generieren, die ich dann digital weiterverarbeite. Das hat sich für mich als gute Kombination herausgestellt.
Das Wunderbare an analogen Synthesizern ist auch die Imperfektion. Vieles ist nicht ganz exakt. Beim Buchla bleibt ein Ton nicht ganz stabil. Das hat für mich ein bisschen etwas Schmutziges. Oft, wenn ich komponiere, nehme ich analoge Teile und verarbeite diese dann digital. Ein Werk für ein Instrument und Tonband beginne ich also meist analog. Viele meiner Stücke sind auch durch das Samplen verschiedener Quellen entstanden. Ich versuche immer mehr mit analogen Synthesizern zu arbeiten, auch bei Live-Auftritten, die Sounds verarbeite ich dann digital. Ich verbinde also beide Welten. Die digitale Welt ist natürlich faszinierend, weil man so viele verschiedene Dinge machen kann.

Was ist das Besondere an der Arbeit mit dem Buchla Synthesizer?

Es ist ein historisches Instrument und Teil der Musikgeschichte der elektronischen Musik. Heute findet man diesen auch nicht leicht, vor allem die 100er Serie. Sie sind teuer und selten. Es ist also etwas sehr Außergewöhnliches die Möglichkeit zu haben an diesem Synthesizer zu arbeiten. Ich mag auch die transparente Funktionsweise. Es ist sehr klar wie man die Kabel und die Anschlüsse miteinander verbindet. Don Buchla hat auch kein Keyboard gemacht; die Touch Pads sind nicht wie Keyboards. Es verschwindet also die Idee Melodien zu erzeugen. Die meisten Synthesizer werden in Kombination mit einem Keyboard produziert, dann macht man die verrücktesten Klänge und geht doch zurück Melodien zu spielen. Das ist nicht die Idee der Module bei diesem Synthesizer und das mag ich.

Ich habe gehört, dass es sehr schwierig ist am Buchla einen Klang exakt zu reproduzieren. Wie gehen Sie damit um?

Nun, ich nehme alle meine Improvisationen auf. Aber jede dieser Improvisationen ist einmalig. Früher hat man versucht Fotos von den genauen Einstellungen zu machen oder Skizzen zu erstellen, um die genaue Position eines Knopfes darzustellen. Aber es ist trotzdem schwierig und man könnte auch frustriert werden, weil man nicht zwei Mal genau das Gleiche hinbekommt. Es ist für mich ein Vorteil, dass ich alles aufnehme und dann digital weiterverarbeite. Das sehe ich als Teil des Abenteuers. Das Spannende ist, dass man auch lernt loszulassen: einmal machen, improvisieren, die besten Sounds bekommen und manchmal kann ich mich dann später gar nicht mehr erinnern, wie genau ich die Session begonnen habe. Aber für mich ist das eine Reise, die ich sehr schätze. Am nächsten Tag wird es ein völlig neues Abenteuer. Im Gegensatz dazu geht es in der digitalen Welt immer darum, möglichst exakt zu sein, alles zu speichern und beim nächsten Mal ist alles so, wie man es hinterlassen hat. Das ist super, aber dennoch ist es viel abenteuerlicher mit diesen analogen Synthesizern zu arbeiten.

Wie würden Sie Ihren Kompositionsstil in drei Wörtern charakterisieren?

Laut, dunkel und groovy.

Woran arbeiten Sie gerade während Ihres Aufenthalts in Krems?

Meine Pläne haben sich ein wenig verändert, wegen der Möglichkeit mit dem Buchla zu arbeiten. Ursprünglich wollte ich weitere kleine Synthesizer bauen und mit meinen eigenen analogen Synthesizern 45 Minuten Musik für ein Projekt mit dem Titel „Man against Creation“ machen. Das Album möchte ich dann online veröffentlichen. Ich improvisiere mit verschiedenen Klängen und jetzt habe ich die Möglichkeit, auch den Buchla einzubinden. Ich habe schon viele Klänge, die ich jetzt digital verarbeiten werde.

Erzählen Sie mehr über das Projekt.

Das Konzept „Man against Creation“ greift außermusikalische Themen auf. Es nimmt mich sehr mit, wenn ich die schlechte Behandlung von Natur, Tieren und anderen Menschen erlebe. Ich habe die Idee von einem Film von Darren Aronofsky. Es verblüfft mich, wie wir so viel Kraft und Energie aufbringen können, um zu zerstören. Das Album soll in mehreren Teilen dieses Thema verarbeiten. Ich habe zahlreiche wissenschaftliche Artikel gelesen über das 6. Massensterben der Erdgeschichte. Viele Wirbeltiere sind in den letzten 30 Jahren ausgestorben, viele Arten sind weg, wie eine kleine Schlange oder das Breitmaulnashorn. Man versucht unaufhörlich den Schweinswal in Mexiko vor dem Aussterben zu retten. Ich habe gelesen, dass jeden Tag 10.000 Haie in den Küstengebieten von Indonesien von der chinesischen Fischindustrie auf unwürdigste Art getötet werden für eine bestimmte Suppe. Das Hauptthema des Albums ist also die Kaltblütigkeit dieses Tötens.

Der Klang ist also eher dunkel?

Ja natürlich, dunkel, laut und groovy. Ich versuche, auf die Natur und die Umwelt zu achten. Ich habe meinen Fleischkonsum reduziert, trinke keine Milch und möchte die Wertschätzung der Natur auch in meinem täglichen Leben praktizieren. Und ich möchte die Leute darauf aufmerksam machen. Natürlich habe ich nicht die Reichweite wie weltberühmte Megakünstler, die gleich Millionen Menschen erreichen können.

Glauben Sie, dass es eine Pflicht der Kunst ist auf solche Themen aufmerksam zu machen?

Ja, das denke ich schon, gerade die Weltstars mit so vielen Fans. Man hört manchmal von Schauspielern, die sich für die UNESCO einsetzen, aber auch Musiker haben eine Plattform mit ihrem Publikum. Natürlich können sie machen was sie wollen. Wir haben unzählige Liebeslieder, ein weiteres kann zwar nett sein, aber ich finde, dass wir eigentlich schon eine Art Notsituation haben. Wir brauchen nicht noch einen Tanz-Song, der einem sagt, wie man die Hände nach oben und unten gibt. Also denke ich schon, dass es eine Verantwortung der großen Künstler ist. Natürlich erreicht Neue Musik nicht so viele Menschen, aber auch ein kleines Sandkorn ist Teil der Wüste.

Wie gefällt es Ihnen in Krems?

Es ist super, ich mag Österreich sehr gerne und jedes Mal, wenn ich hier bin, empfangen mich die Menschen mit offenen Armen. Ich fühle mich sehr wohl hier. Die Residency ist großartig, ich habe einen tollen Arbeitsplatz und das Equipment ist super. Es ist großartig in Krems und im Ernst Krenek Forum zu arbeiten. Krems ist eine kleine Stadt, man kann alles zu Fuß erreichen. Es ist für mich eine schöne, sehr produktive und inspirationsreiche Zeit. Ich möchte auf jeden Fall wiederkommen!

Vielen Dank für das Gespräch!


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