Zum 75. Geburtstag. Für den Bayerischen Rundfunk
(1975)
Dem Bergsteiger wird empfohlen, beim Auftrag nicht so sehr zurück-
zublicken und sich in der Befriedigung über das schon Vollbrachte zu
sonnen, sondern seinen Blick auf den zu erreichenden Gipfel zu richten und
das noch zu Leistende im Auge zu behalten. Wenn man ein das menschliches
Leben naheliegenderweise mit einer Bergtour vergleicht, so ist es nicht
immer ganz leicht, jenen Rat zu befolgen, da man nie ganz sicher sein
kann, ob es bergauf oder bergab geht. Man weiß nicht, was einem bevor-
steht - ob man einer verlockenden Anhöhe zustrebt oder vertrauensvoll
in den Abgrund marschiert. Meinen Jahren nach bin ich wohl schon
weit genug heruntergekommen, um mir einen Rückblick leisten
zu können. der
auf zurückgelegte
Berg- und Talstrecken
Bei besonders gutem Wetter kann man in der Ferne einen Gipfel
ausnehmen, der in den Archiven als "Jonny spielt auf" verzeichnet ist
und denen vielen, die davor standen, ungeheuer hoch erschien. Das Eigen-
tümliche an dieser Geographie ist, daß derselbe Gipfel anderen Betrachtern
als eine verächtliche Niederung vorkam, in die sich ein strebsamer
Modernist nicht hätte verirren sollen. Sie fanden, daß die in
in Aufführungs - und Tantiemenziffern meßbare Höhe mit einem
Abstieg in ein künstlerisch minderwertiges Niederland zu teuer
bezahlt erkauft war. Während ich den weltlichen Erfolg jener Oper
keinerwegs kalkuliert hatte und von ihm ebenso überrascht war wie
Freund und Feind die Umwelt, will ich nicht leugnen, daß ich mich ab und zu am Rande
der Unterwelt der U-Musik getummelt habe - in meiner
Jugend aus purem Übermut, viel später, in einer amerikanischen Not-
lage in der Hoffnung, diese mit solchen Versuchen beheben zu können -
in beiden Fällen ohne jeden Erfolg, was die von Artur Schnabel oft aus-
gesprochene Warnung zu bestätigen schien, nämlich, daß man keine Aus-
flüge unter sein Niveau machen kann. Meine Freunde in der Unter-
welt werden sich beschweren, daß sich darin wieder jener elitistische
Hochmut ausspricht verrät, der die Stockwerke im Haus der Musik so un-
gerecht zu verteilen sucht. Ich weiß freilich, daß viele dieser Freunde
nichts sehnlicher wünschten, als einmal eine Symphonie zu schreiben,
die ihnen ein Plätzchen in der Bel-Etage der E-Musik verschaffen
würde. Auch ihnen war kein Erfolg beschieden, was zu be-
weisen scheint, daß man Ausflüge nach oben gleichfalls unmöglich sind.
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Wie dem auch sei, heutzutage, wo die U-Musik immer weniger unterhaltend
wird und die E-Musik sich mehr und mehr in extravaganten Spässen
ergeht, spielt das keine große Rolle mehr, da man hoch und tief kaum
mehr unterscheiden kann.
In jenen Jahren erstieg ich eine andere Anhöhe, die zu einem sehr
beliebten Ausflugsort wurde: das Reisebuch aus den österreichischen
Alpen, und manche Freunde meinten, ich hätte in dieser Landschaft Gegend bleiben
und andere ihrer Erhebungen erforschen ersteigen sollen. Meine Leistung war
vielleicht unscheinbar, aber doch nicht unbeträchtlich, wenn man bedenkt,
wie überlaufen und von den SchTritten zahlloser Touristen eingeebnet diese Musik-Landschaft
war. Ich wandte mich alsbald einem berüchtigt schwierigen Teil des Ge-
birges zu und erreichte einen Gipfel, der allgemein als solcher anerkannt
wurde und den ich für einen der bedeutendsten in meiner Karriere halte:
das Opernwerk Karl V. In derselben Linie liegt das Sechste Streich-
quartet und Zwölf Variationen für Klavier, in denen ich meine Kletter-
technik im Zwölftongestein zu einer gewissen Perfektion brachte.
Auch die Lamentatio Jeremiaeh Prophetae gehört hierher, die ich
als Gipfelleistung hochschätze wegen der weltabgewandten Innerlichkeit
und Konsequenz dieses Werkes. Von hier aus gewann ich auch den
ersten Blick auf ein Gebiet, das ich mehr als zehn Jahre später erforschen
sollte - das Land der seriellen Musik. Die Kamine, Traversen, Grate und
Türme in diesem Bereich sind so schwerig, daß manche, die sich darin
versucht haben, heute verlauten lassen, man hätte diese Zone über-
haupt vermeiden sollen. Immerhin habe ich dort ein paar verruchte
Gipfel bezwungen, vor allem Sestina und Quaestio temporis. Auch manches
spätere Werk hat in meiner Sicht dies characteristischen Züge eines
Höhepunktes, Originalität der Problemstellung, hier erreichte Niveau ge-
halten. Ich nenne als mir besonders nahestehend die Oper Der Goldene
Bock, in welcher ich die immanente Absurdität des Opernwesens zum
zum bewegenden Prinzip des Werkes zu machen und auf die Spitze zu
treiben suchte. Das Gebiet, das in dem ich durchreiste, ist wohl so entlegen,
daß meine Touren wenig beachtet wurden. Die Feldstecher der Bericht-
erstatter waren völlig gefesselt von den Klettereien, die sich auf weit
harmloseren Ebenen begaben, und die Landkarten, die auf denen
ich meine Kreuz- und Querfahrten verzeichnete, wurden kaum unter
die Lupe genommen. , Ob ich schon durch manches dunkle Tal
zu wandern hatte, der Herr war mein Hirte und so hat ein freundliches Geschick mich immer wieder
auf eine zu Anhöhen geführt, auf die ich nicht ohne Genugtuung zurück-
blicken darf.
Vielleicht deshalb schien die Spätlese, die ich auf des Lebens Abhang kelterte, manchen,
die sie verkosteten, einen etwas bitteren Nachgeschmack zu haben. Doch Jahre hat sie sich
als vollmundiges Gewächs erwiesen und sich den früheren Jahrgängen würdig
angereiht.
Grate, Kamine, Traversen, Türme
Scenes fr. the West
Four choruses w. organ
Propr. M. Innocentium
Sonata f. Viola & Piano
By the Sepulchre
On Mt. Olivet
126th Ps.
from 103rd Ps.