Im Gespräch mit Manuel Pessoa de Lima

Artist in Residence

Der aus Brasilien stammende und in Berlin lebende Performer, Pianist und Komponist Manuel Pessoa de Lima war im April im Rahmen von AIR - Artist in Residence Niederösterreich zu Gast in Krems. Bereits im November 2022 experimentierte Manuel Pessoa de Lima unter anderem auch mit Ernst Kreneks Buchla Synthesizer im Salon Krenek.
Wir sprachen mit ihm über seine aktuellen Projekte und seinen musikalischen Hintergrund.


Könntest du etwas über deinen musikalischen Hintergrund erzählen?

Als Kind hatte ich Asthma und der Arzt empfahl mir, Flöte zu spielen. Im Haus des Flötenlehrers stand ein Klavier, das mich sehr interessierte, und so begann ich Unterricht zu nehmen. Zuerst hatte ich klassischen Musikunterricht, lernte Flöte, dann Klavier, und später studierte ich Komposition an der Universität, wo ich mich sehr auf neue Musik konzentrierte.
Als ich in meinen 20ern war, begann ich Musik für Theater und Tanz zu schreiben, denn ich musste irgendwie meine Rechnungen bezahlen. Danach versuchte ich ein Doppelleben zu führen: Ein Teil meines Lebens spielte sich an der Universität ab, wo ich meinen Master machte, was sehr theoretisch war, mit Musikanalyse und ähnlichen Fächern. Und in meinem wirklichen Leben als Musiker habe ich versucht, so viele Werke wie möglich zu schreiben. 2013 bekam ich ein Stipendium, vergleichbar mit einem Fulbright-Stipendium, für ein Doktorandenprogramm der CalArts [California Institute of the Arts], einer recht progressiven Hochschule in Kalifornien. Dort gibt es ein „Interpreten-Komponisten- Programm“, in welchem ich zum ersten Mal beide Welten verbinden konnte. Ich war somit weder nur Komponist noch nur Pianist, sondern eine Kombination aus beidem. Als ich an der CalArts ankam, hatte ich das Gefühl, in allem sehr schlecht zu sein. Ich war weder ein "guter Komponist" noch ein Konzertpianist, aber zu dieser Zeit wurde mir klar, dass man als „Interpret-Komponist“ nicht gleichzeitig Pianist und Komponist ist, sondern es ein ganz spezifischer Bereich ist und das fühlte sich für mich irgendwie richtig an. Von da an begann ich mit meiner künstlerischen Arbeit, entfernte mich immer mehr von der Konzertmusik und spielte experimentelle Musik in kleineren Räumen. Anstatt Kompositionen zu schreiben, dachte ich über Performances nach und für jede Gelegenheit etwas Neues zu schaffen.


Was inspiriert dich?

Das ist nicht so einfach zu beantworten. Ich zweifle sehr viel an mir selbst. Manchmal habe ich vielleicht eine Inspiration, aber ich traue mir nicht. Ich denke, meine Hauptinspiration ist der Zufall oder Zwischenfall. Es ist ein Paradoxon, denn einerseits habe ich absolut keine Ahnung, was ich tue, ich weiß nicht, wie das Stück enden wird. Ich muss einfach irgendwo anfangen. Auf der anderen Seite bin ich extrem systematisch. Normalerweise erstelle ich Listen mit scheinbar alltäglichen Dingen, wie "um drei Uhr nachmittags spazieren gehen" oder "eine Akkordfolge spielen". Das können alle möglichen Handlungsweisen sein, ich fange einfach an, sie zu erledigen. Dann versuche ich A und C zusammenzusetzen, dann D und F, und ich mache weiter, probiere viele unterschiedliche Kombinationen und vergleiche sie. Ich merke, dass manche Kombinationen besser funktionieren, und dann finde ich nach und nach durch diese Zufälle einen Weg. Ich komponiere dabei eigentlich nicht, ich schaffe nur einen Ablauf und versuche zu spüren, was der Weg ist, den die Welt mir zu zeigen versucht. Meine Inspiration ist also diese Art von Synchronizität.


Wie würdest du deine Musik mit drei Worten beschreiben?

Ich denke sie ist ernsthaft, fast ein bisschen naiv, sie ist irgendwie süß, ich fürchte manchmal zu süß, und ich denke, sie ist auch auf eine Art einfach.


Woran arbeitest du derzeit?

Mein Leben ist zu diesem Projekt geworden, das „Der gescheiterte Pianist“ heißt. Üblicherweise habe ich mich als gescheiterten Pianisten dargestellt, weil ich eine Zeit lang sicher war, dieser gescheiterte Pianist zu sein. In gewisser Weise bin ich das auch, aber dann habe ich angefangen, eine Therapie zu machen. Es gab einen Unterschied zwischen mir und dem gescheiterten Pianisten, und ich musste mir dieses Unterschieds bewusster werden. Aber irgendwie wurde diese Persona zu einer Art Arbeit, die ich tue, und zwar in so einem Maße, dass es mir schwerfällt zu bestimmen, was ich bin und was die Arbeit ist. Eine wichtige Entdeckung dabei war, dass ich nicht gerade ein professioneller Musiker bin.
Das Schreiben wurde für mich sehr wichtig. Ich betrachte meine Arbeit wie ein Theaterstück, und vielleicht ist sie das auch.
Einmal stellte ich den gescheiterten Pianisten vor, und hinterher kam jemand auf mich zu und sagte: "Oh, ich wusste nicht, dass du Komiker bist". Vielleicht bin ich also gar kein Musiker, sondern ein Komiker, aber ich bin furchtbar schlecht im Witzeerzählen im Bekanntenkreis. Also, was zum Teufel bin ich? Irgendwie ist der gescheiterte Pianist immer sehr komisch, doch eher zufällig. Das Projekt ist zwischen Musik und Theater angesiedelt. Ich bin auch kein Schauspieler, aber die Rolle des gescheiterten Pianisten passt ganz natürlich zu mir, so dass ich diese spezielle Person spielen kann. Ich zweifle tatsächlich sehr an mir selbst, und ich habe eine instabile Beziehung zum Klavier. Ich habe aufgehört, es zu studieren, und dann wollte ich wieder damit anfangen, aber das Klavier wollte mich nicht mehr. Ich habe das Gefühl, ich bin nicht gut genug. Diese Gefühle und Ängste sind unter Musikern und Menschen im Allgemeinen sehr verbreitet. Ich glaube, ich habe zu viel über darüber nachgedacht, und das hat mir irgendwie den Weg für diese Performance gewiesen, die nicht festgelegt ist. Jedes Mal mache ich es ein bisschen anders. Aber ich muss mich von der Persona lösen, auch um nicht in eine narzisstische Schleife des Scheiterns zu geraten. Unter dem Druck, meinen Lebensunterhalt zu verdienen, kann ich wirklich nicht der gescheiterte Pianist sein. Ich muss in der Lage sein, diesen Pianisten zu verkaufen, denn die Rolle des gescheiterten Pianisten ist nicht in der Lage, sich selbst zu verkaufen. Ich muss der Ausbeuter dieses Pianisten sein, um meine Miete zu bezahlen.


Bei unserer letzten Begegnung hast du uns erzählst, dass du viel mit Sprache und Texten arbeitest. Welche Rolle spielen diese für dich?

Bis zu einem gewissen Punkt fließt die Musik für mich, aber vor allem gewinne ich wirklich viel aus Lebenssituationen. In letzter Zeit schreibe ich mehr, ich versuche gerade, eine Novelle fertig zu schreiben. Tagsüber höre ich nur bei bestimmten Gelegenheiten Musik, die meiste Zeit höre ich Menschen beim Sprechen zu. Ich bin viel mehr mit Worten verbunden, obwohl mein Leben irgendwie immer von Musik erfüllt war. Wenn ich über etwas sprechen oder auf diese sehr direkte Art kommunizieren möchte, hat die Musik mit einer Art Fluss zu tun, mit einer Art Bogen. Aber ich denke, Worte spielen eine zentrale Rolle. Vielleicht werde ich mich in 20 Jahren mehr als Schriftsteller identifizieren, ich weiß es nicht. Es ist ein bisschen wie bei der Rap-Musik, es gibt ein Bedürfnis, sich zu äußern.


Also denkst du, dass Musik für sich selbst stehen kann oder sollte sie in Beziehung zu Worten stehen?

Für mich steht Musik immer in Beziehung zu einer bestimmten Situation oder einem Kontext. Meine Musik bewegt sich immer in einem politischen Raum oder sogar in einem subjektiven emotionalen Raum. An der Universität habe ich lange Zeit versucht reine Musik zu komponieren und manchmal kehre ich in dieses Universum zurück. Aus irgendeinem Grund habe ich aber das Gefühl, nie dort anzukommen und dieser Weg birgt für mich viele Konflikte, viele Bedenken über die Beziehung zwischen dieser Musik und meiner Situation. Es ist mehr eine Orientierung und das Stück passiert einfach. Ich kreiere Situationen. Darum geht es auch beim gescheiterten Pianisten.


Hast du ein Lieblingsmusikgenre oder eine:n Lieblingskomponist:in?

Diese Frage bringt mich manchmal in Verlegenheit. Oft stellt mein Gegenüber in Unterhaltungen fest, dass ich Musiker bin, und fragt mich, „Kennst du den und den?“, und meistens kenne ich diese Leute nicht. Ich erinnere mich nicht mal besonders gut an die Namen von Personen, mit denen ich gespielt habe [lacht]. Ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Meine Hörgewohnheiten sind sehr zufällig. Ich gehe durch Phasen. Im Allgemeinen versuche ich Musik zu hören wie ein Durchschnittshörer und nicht wie ein Musiker. Oft höre ich Musik als emotionale Stütze, oder aus nostalgischen Gründen, aber nicht um zu forschen. Natürlich höre ich auch Musik, um diese zu erforschen, aber ich bemühe mich eine bescheidenere Beziehung zu entwickeln und Vorurteile, die ich während meiner Musikausbildung aufgebaut habe, abzubauen. Ich höre manchmal einfach nur Radio, und natürlich höre ich auch brasilianische Musik. Manchmal hör ich auch Musik von Pianisten, auch klassische Pianisten. Ich stelle mir auch Höraufgaben und entwickle Routinen, um neue Musik zu finden. Ich verwende Bandcamp oder bestimmte Websites, um Neues zu entdecken. Ich bin aber immer ziemlich hinten nach… es gibt so viel, Musik ist einfach wunderbar und ich versuche offen zu bleiben.


Bei deinem letzten Aufenthalt in Krems hast du dich mit Krenek Buchla Synthesizer beschäftigt. Wie hast du diese Erfahrung erlebt?

Es war eine Offenbarung. Ich bin nach Berlin gezogen und Modular-Synthesizer sind dort sehr en vogue. Während meiner Ausbildung in Brasilien hatte ich nie Zugang zu modularen Synthesizern. Ich habe davor eigentlich noch nie einen berührt. Der Buchla Synthesizer war also der erste, mit dem ich gearbeitet habe und das war wirklich eine Reise. Ich habe mich wie ein Kind in einem 70er-Jahre Raumschiff gefühlt. Die Zeit war wunderbar. Ich habe die Bedienungsanleitung über alle Module gelesen und ausprobiert, wie sie funktionieren. Das war ein sehr entdeckerisches Vorgehen und dieser Prozess war dann gleichzeitig auch das Musikmachen an sich. Das war sehr besonders.  


Du hast vor, deine Arbeit mit dem Buchla Synthesizer bald fortzusetzen. Was hast du für Pläne?

Ich bin nicht zu erfahren mit dem Buchla, also möchte ich einfach die Module weiter ausprobieren und studieren. Nach einiger Zeit kommen tolle Klänge raus und die kann ich dann auch aufnehmen. Ich möchte mir die Freude gönnen, einfach damit zu spielen und zu schauen, was rauskommt.
Ich habe auch ein Projekt mit dem Künstler Gammon, ein Musiker aus Wien, der sich viel mit modularen Synthesizern beschäftigt, geplant. Wir werden experimentelle Aufnahmen in der Evangelischen Kirch in Krems machen. Dort gibt es eine Orgel, auf der ich spielen kann, und Gammon bringt seine Synthesizer mit. Wir haben drei Tage dort und werden einfach schauen, was passieren wird. Wir haben auch über ein Projekt gesprochen, bei dem er mit dem Buchla Synthesizer und ich auf dem Klavier spielen werden, vielleicht können wir das irgendwann umsetzen.


Wie gefällt es dir in Krems?

Ich war schon auf ein paar Residencies, und bei dieser hier, kann ich mich viel besser fokussieren. Krems ist ganz speziell. Man ist zwar in der Stadt, aber gleichzeitig hat man auch das Gefühl weg zu sein. Das fördert das Arbeiten. Ich bin gerne hier, es ist ein wenig wie ein Wegfall von Zeit und Raum; ein großes Geschenk für mich hier als Artist in Residence arbeiten zu können. Ich finde auch die Mischung von Natur und Geschichte toll. Nachdem ich schon einmal hier war, fühlt es sich fast ein wenig familiär an, das ist schön. Die Menschen sind sehr offen und auch die Mitarbeiter:innen sind sehr unterstützend. Es gibt nicht so viel Druck und ich habe Zeit kreativ zu sein.

Vielen Dank für das Interview!

 

Zur Website von Manuel Pessoa de Lima

 

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