Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke

Tarquin

Kammeroper in zwei Teilen (acht Szenen), op. 90 (1940)

Text
Emmet Lavery (deutsch von M.-C. Schulte-Strathaus und P. Funk)


Verlag / Rechte
Universal Edition
LM / KA UE 33831


Dauer
3 Stunden


Uraufführung
13. Mai 1941
(zwei Szenen, konzertant)
Vassar College, Poughkeepsie, New York

16. Juli 1950 (Gesamtwerk, EA in deutscher Sprache)
Städtische Bühnen Köln

D Wolfgang von der Nahmer
R Erich Bormann
B Walter Gondolf


Aufführungen
Kammerspiele Linz (Krenek-Festival: Ernst Krenek – der Sprachmusiker, ÖEA, 2007)


Aufzeichnung
2007, Krenek-Festival Linz (Live-Mit-schnitt, der Diplomarbeit von Barbara Bretbacher beigelegt): D Thomas Kerbl, Kammerensemble der Anton Bruckner Privatuniversität Linz; Marius: Martin Kiener, Cleon: Matthäus Schmidlechner, Corinna: Barbara Bretbacher u.a.


Besetzung
Marius (Bar), Corinna (S), Cleon (T), Der Erzbischof (B), Der Kanzler (T), 4 Sprechrollen (Bruno, Toni u.a.) und Ensemble
0.0.1.0 – 0.1.0.0 – Perc, 2 Pft, Vl


Themenkreise
Macht / Liebe
Diktator / Heilige
Radio als Massenmedium


Entstehung     
Tarquin war Kreneks erste Oper nach seiner Emigration in die USA. Er wollte darin seine „Ideen vom neuen amerikanischen Operntheater“ umsetzen, und „die Geschichte so zeitlos und generell wie möglich halten“. Der amerikanische Schriftsteller Emmet Lavery, der zum Kreis der katholischen Dichter rund um Eliot und Greene gehörte, verfasste für Tarquin sein erstes Libretto.
Die feindliche Übernahme eines Landes durch seinen Nachbarn, die der Geschichte als Hintergrund dient, ist ein unmissverständlicher Verweis, auf den erst wenige Jahre vor der Oper erfolgten „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich.


Zeit und Ort der Handlung     
1925 (Vorspiel), Gegenwart (Erster Teil), in der nächsten Zukunft (Zweiter Teil, Nachspiel)


Inhalt    
Nicht der ehrgeizige Marius wird bei der College-Abschlussprüfung Primus, sondern sein Konkurrent Cleon. Wutentbrannt verlässt er daraufhin seine Freunde – darunter auch seine Schulgefährtin Corinna, die er liebt – mit dem festen Vorsatz, einen Platz in der Welt zu finden, an dem er Erster wird. 15 Jahre später hat Marius als General Tarquin die halbe Welt erobert und kehrt in sein Vaterland zurück, um dort die Herrschaft zu übernehmen. Der Kanzler und der Erzbischof, bislang Führer des Staates, ergeben sich. – Im Rundfunk soll Tarquin gemeinsam mit dem Kanzler eine Ansprache halten. Dieser ist jedoch tödlich „verunglückt“. – Ein Blitzschlag verhindert die Ansprache, und es wird ein Piratensender hörbar: Eine Frau ruft zum Widerstand auf. – Der Pianist Toni, ein Kleinganove, agiert als Spitzel für Tarquin und ortet den Geheimsender in einem Krankenhaus, wo Corinna als leitende Ärztin und Cleon als Telefonist arbeiten. – Toni versucht, Tarquin zu töten, was misslingt. Corinna will Toni helfen, Tarquin erkennt in ihr seine frühere Liebe und die Stimme des Geheimsenders. – Oberst Bruno lässt den Ort bombardieren, wobei das Krankenhaus zerstört wird.
Inzwischen hatte Tarquin den Erzbischof gezwungen, in das Konkordat zwischen Staat und Kirche einzuwilligen. – Corinna informiert den Erzbischof über ihre einstige Beziehung. Er rät ihr, zu versuchen, in einem Gespräch mit Tarquin das Unglück einer Diktatur abzuwenden.
Tarquin ist schließlich dazu bereit, aber Oberst Bruno sieht durch Corinnas Einfluss seine eigene Position gefährdet und tötet sie. – Nun reißt Bruno die Macht an sich und führt das Ende Tarquins mittels eines Flugzeugunglücks herbei. In einem letzten Kampf gegen den Oberst glaubt der sterbende Tarquin, Corinnas Stimme zu hören …


Musik    
[…] Die Assoziation zur Zeitoper der zwanziger Jahre erweist sich nicht als zufällig, Kreneks Mediendramaturgie und der Umgang mit epischen Elementen verweisen auf seine früheren Opernwerke. […] Aber die Reduktion aller äußeren Mittel, der Verzicht auf großes Ensemble und opulente Bühnenausstattung, schließlich die Zwölftönigkeit unterbinden einen direkten Vergleich etwa mit Jonny. Deutlich auf andere Stile anspielende musikalische Elemente zeigen, dass Krenek bestrebt war, mit zuhandenem Material wie außerhalb der Werkebene angesiedelten Stilen außermusikalische Assoziationen zu erzeugen und mit ihnen dramaturgisch zu arbeiten. […]    
Nils Grosch, „Ideen vom neuen amerikanischen Operntheater“. Versuch zu Ernst Kreneks „Tarquin“ op. 90


Resümee   
Die Parallelen zu zeitgeschichtlichen Ereignissen sind unverkennbar, auch handelnde Personen lassen sich realen Protagonisten zuordnen.
Die Musik stellt große, aber lohnende Herausforderungen an die Sängerinnen und Sänger; sie unterstreicht gekonnt die zeitlose Relevanz der behandelten Themen Macht/Herrschaft/Liebe.

 


Im Spiegel der Presse

Oberösterreichische Nachrichten
24.07.2007, Michael Wruss zur Aufführung an den Linzer Kammerspielen
[…] Ernst Krenek [hat] eine tief psychologisierende Parabel über Ehrgeiz, Machtgier, schizophrenen Wirklichkeits-verlust und Liebe geschaffen, in der der Gewaltherrscher zusehends zum Spielball seiner ihm „treu“ Ergebenen wird und an seiner einzigen Schwäche, der ehrlichen Zuwendung zu einer Jugendfreundin, scheitert.

Rezensionen zur Uraufführung des Gesamtwerks und Deutschsprachigen Erstaufführung an den Städtischen Bühnen Köln

Die Zeit
27.07.1950, Johannes Jacobi
An die um metaphysische Transparenz bemühte Tiefendimension hält sich hauptsächlich Kreneks Musik. In ihren technischen Mitteln ist sie von frappierender Kargheit. Zwei Klaviere, eine Violine, eine Klarinette, eine Trompete und Schlagzeug genügen dem Komponisten als instrumentale Partner der expressiv hochgeladenen Singstimmen.

Spiegel
20.07.1950, 29/1950
In Tarquin gibt es nichts mehr zu lachen. „Sondermeldungen“, ihre Falschheit mit Lautsprecherpathos übertönend, konferieren die Revue der Uniformen und Schlagworte, die in acht Bildern nebst Vor- und Nachspiel zügig über die Bühne geht. […] Ernst Kreneks Zwölftonmusik trifft mit ihrer asketischen Verleugnung des schönen Klangs die beklemmende Technizität des Geschehens sehr genau. „Es klingt wie ein Orchester ohne Pedal“, sagte Dirigent Wolfgang von der Nahmer.

Kölnische Rundschau
18.07.1950, Herbert Eimert
Die Musik Kreneks hält mit einem sicheren theatralischen Instinkt an der musikalischen Prosa fest, wie man sie aus seiner in Essen erschienenen Oper „Karl V.“ kennt; nur ist die Tarquin-Partitur viel lockerer und kammermusikalisch beweglicher, sie ergeht sich jenseits aller operngewohnten Formen.

Kölner Stadt-Anzeiger
18.07.1950, Friedrich Berger
Zahlreiche gestaltende Faktoren wirken in Kreneks Oper zusammen.
Bühnendrama und Rundfunkbericht […], Oper und Schauspiel, Elemente des Melodrams und des Films werden als Mittel zur Formung herangezogen. […] In der Organisation dieser Mittel zu einem erstaunlich geschlossenen, einheitlichen Ganzen ist die geniale Leistung des Komponisten zu sehen.

 

Weiterführende Literatur

Barbara Bretbacher, Ernst Krenek: „Tarquin“. Kammeroper in zwei Teilen op. 90. Werkgeschichte – Analyse – Interpretation. Master-Diplomarbeit, 1 CD beigelegt, Anton Bruckner Privatuniversität Linz 2009

Claire Taylor-Jay, Ist politische Oper heute noch möglich? Kreneks „Der Diktator“ und „Tarquin“, in: Claudia Maurer Zenck (Hg.), „Der zauberhafte, aber schwierige Beruf des Opern-schreibens“. Das Musiktheater Ernst Kreneks, Edition Argus, Schliengen 2006, S. 181–192

Nils Grosch, „Ideen vom neuen amerikanischen Operntheater“. Versuch zu Ernst Kreneks „Tarquin“ op. 90, in: Friedrich Geiger (Hg.), Von Jonny zu Jeremia, Pfau Verlag, Saarbrücken 2001, S. 70–82

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