Aus Lothar Knessls Führer durch Ernst Kreneks Bühnenwerke

Jonny spielt auf

Oper in zwei Teilen op. 45 (1926)

Text
Ernst Krenek (deutsch, englisch)


Verlag / Rechte
Universal Edition
LM / KA UE 8621 / TB UE 8622


Dauer
120 Minuten


Uraufführung
10. Februar 1927
Neues Theater Leipzig

D Gustav Brecher
R/B Walther Brügmann


Aufführungen
Theater Hagen (2016), Deutsches Nationaltheater Weimar (2014), Salzburger Landestheater (2013), Pfalztheater Kaiserslautern (2008), Teatro Colón Buenos Aires (2006), Opernhaus Köln (2005), Wiener Staatsoper (2002–04), Wuppertaler Bühnen (2002), Tiroler Landestheater Innsbruck (2000), Städtische Bühnen Osnabrück (1998), Staatstheater Karlsruhe (1997), Opernhaus Leipzig (1990), Leipzig, Freiburg im Breisgau (1989), Palermo (1987), Long Beach (Kalifornien, 1986), Ystad (Schweden, 1980), Graz und Theater an der Wien (Wiener Festwochen, 1980), Salzburg, Regensburg (1968), Posen (1965), Maggio Musicale Florenz (1963 und 1965) und, zwischen 1927 und 1930,  weitere über 70 europäische Bühnen, allein im UA-Jahr an 42 Opernhäusern


Aufzeichnungen
2013/1958, Cantus Classics CACD 5.01785F (Historische Tondokumente): D Alfredo Simonetto, Orchestra die Milano della Rai; Max: Amadeo Berdini, Anita: Elda Ribetto, Jonny: Mario Borriello, Daniello: Renato Capecchi u.a.
2002/1964, Universal 472 757-2: D Heinrich Hollreiser, Orchester der Wiener Volksoper; Max: William Blankenship, Anita: Evelyn Lear, Jonny: Gerd Feldhof, Daniello: Thomas Sewart u.a.
1993, Decca 436 631-2 (Entartete Musik): D Lothar Zagrosek, Gewandhausorchester Leipzig; Max: Heinz Kruse, Anita: Alessandra Marc, Jonny: Krister St Hill, Daniello: Michael Kraus u.a. (Neuauflage 2011 unter der Bestellnr. Decca/Universal 4783048)


Besetzung
Max (T)
Anita (S)
Jonny (Bar)
Daniello (Bar)
Yvonne (S)
6 kleinere Rollen (3 T, 1 Bar, 1 B, 1 Bassbuffo)
7 stumme Rollen
Chor (SATB) – 2.2.3.2 – 2.3.3.1 – Timp, Perc (incl. Xyl, Glsp) – Pft – Str
Bühne: 2 Sax, Trp, Pos, Harm, Perc, Jazzinstrumente


Themenkreise
Zeitgeistoper. Lebensgefühl der zwanziger Jahre. Technik-Begeisterung.
Antithetische Strukturen: Europäische Tradition/Utopie des Amerikanismus; Intellekt/Instinkt; Großstadt/Natureinsamkeit.
Satire spielt auch mit. An der Oberfläche Sex and Crime


Entstehung
Krenek komponierte Jonny spielt auf während seines Engagements am Stadttheater Kassel. Das Stück wurde gleich nach seiner Uraufführung in Leipzig zu einem überwältigenden Erfolg in ganz Europa und New York. Ab 1933 als „entartete Kunst“ im nationalsozialistischen Einflussbereich von den Spielplänen verbannt. Nach 1945 in Europa und Übersee sukzessiv wieder aufgeführt.


Zeit und Ort der Handlung
1920er Jahre, europäisches Großstadt- und Grand-Hotel-Milieu, Alpen-Gletscher   


Inhalt
Der Plot, mehrere Handlungsstränge kühn verschränkend, spiegelt den Zeitgeist, bleibt jedoch darin nicht stecken. Die Ereignisse überstürzen sich. Nicht dann, wenn Komponist Max – er fühlt sich einsam und missverstanden (Krenek autobiographisch) – zum singenden Gletscher wandert. Die Wirklichkeit holt ihn von dort zurück: in Gestalt der prominenten Sängerin Anita. Sie, Kind der Zeit, erlebt flugs eine Nacht voller Seligkeit mit dem Stargeiger und Damenschwarm Daniello, dessen Namen wohl nicht zufällig wie Danilo klingt. Wir landen nahe der Operette, eher Revue, starten aber bald wieder ins Opernfach, denn schließlich findet Anita bei Max, inzwischen kompositorisch erfolgreich, das Glück und er bei ihr. Das klassische seriöse Paar. Daniello hingegen gerät im Finale unter die Räder eines Intercity-Zuges. Das irritiert allerdings niemanden. Man bejubelt die neue Zeit und ihre Vitalität. - Eine trügerische Euphorie? - Jedenfalls hat Daniellos Amati-Geige nun keinen Besitzer. Sie kommt endlich in die Hände des moralisch recht unbekümmerten Bandleaders Jonny. Er hatte das kostbare Instrument schon längst gestohlen und trickreich versteckt, mit Hilfe des Zimmermädchens Yvonne, buchstäblich eine Schlüsselfigur. (Die Beiden wären das Buffo-Paar.) Dies löst Missverständnisse und Turbulenzen aus, was Spannung erzeugt. Unter anderem geschieht folgendes: Anita schenkt Daniello einen Ring. Der recht schofel agierende Nobelviolinist veranlasst, dass der Ring in die falschen, nämlich Maxens, Hände fällt. Das bewirkt Eifersuchtsszenen. Der hysterische Hoteldirektor entlässt Yvonne, die sogleich als Zofe zu Anita wechselt und, entwirrend, das Stück auf die Schiene eines Happy End bringt. Polizei ist trotz Eile  immer zu spät unterwegs und verhaftet daher den Unschuldigen. Er wird von Jonny, als Chauffeur verkleidet, in letzter Minute befreit. - Unverzichtbare Ingredienzien der Handlung: Telefon, Radio, Auto, Eisenbahn.   


Musik
Die hartnäckig tradierte Beurteilung, es handle sich um eine Jazz-Oper, sollte sich mittlerweile definitiv als falsch erwiesen haben. „Was Jonny so interessant macht, ist die reiche, aber ambivalente Bedeutung, die dieses Stück durch seinen musikalischen Stil hervorbringt...“ Hier ist „das 'musikalische Drama' nicht die Einführung von Jazz-Elementen per se, sondern eher der Effekt musikalischer Ironie, das fortwährende Kollidieren zwischen kurzlebigem Inhalt und klassischer Form...“ (Peter Tregaer). - Einnehmend wirkt auch heute noch Kreneks geradezu souveräne kompositorische Unbekümmertheit: nahtloser Wechsel von Ernsthaftigkeit zur Posse; von  Melodramatik zur Annäherung an damals aktuelle Schlager (Foxtrott, Tango usw.); von kontrapunktischen Passagen zu schlichter Homophonie; von der Arie zum Song; vom symphonischen Orchesterklang zu Topoi des Big-Band-Sounds. „Für einen, der sich so gut aufs Parodieren verstand wie er, war es ein Kinderspiel, die offenkundigeren Merkmale solcher Musik nachzuahmen...“. Gerade das Wenige solcher jazzigen Momente wirkte einst „...in den heiligen Hallen der meisten europäischen Opernhäuser so elektrisierend, dass es ausreichte, Jonny als 'Jazzoper' abzustempeln...“ (John L. Stewart)


Resümee
Kreneks bunte Musik erbaut auch das „klassische“ Opernpublikum. Die Story  bietet Interpretationsspielraum für historische Assoziationen und für Querverweise in die Gegenwart.

 


Im Spiegel der Presse

Zur Aufführung am Salzburger Landestheater
Der Standard, Wien
9.12.2013, Heidemarie Klabacher
Vor allem aber obliegt es Jonny, der europäischen Musik einen amerikanisch polierten Spiegel vorzuhalten: Wobei „Amerika“ schon für Krenek 1927 mehr ein Utopia als ein reales Land dargestellt haben dürfte.
Eine „Jazz-Oper“ ist Jonny spielt auf natürlich nicht. Da und dort etwas Porter oder Gershwin, das sei alles, sagte schon Krenek. Aber das kommt temporeich und rhythmisch mitreißend-pointiert …

Salzburger Nachrichten
9.12.2013, Karl Harb
Jonny, der Bandleader, der den ungezügelten Geist der wilden Goldenen Zwanzigerjahre so verkörpert wie die Gesellschaft, die sich nach einer „neuen Zeit“ sehnt, will ja nur altes europäisches Gut in der Neuen Welt neu verankern, während umgekehrt sich die Europäer nach „Amerika“ sehnen. Kulturtransfer nennt man das heute.

Zur Aufführung an der Wiener Staatsoper
Die Zeit, Hamburg
23.12.2004, Claus Spahn
Alle wollen sie raus aus den erstarrten Verhältnissen, weg von der Müdigkeit der Alten Welt. Die Musik rattert schon im Rhythmus des großen Aufbruchs, legt sich mit gefährlichen Tempi in die Kurve, wechselt wie im Fieber die Tonfälle. Der allerletzte Vertreter der guten alten Zeit, der schmierige, schöne Stargeiger Daniello, wird im atemlosen Getriebe achtlos vor die heranrasende Lokomotive geschubst. Mit flatterndem Mantel springt im allerletzten Moment auch die Kunst noch auf den fahrenden Zug in der Person des Komponisten Max, der bis dahin Inspiration nur in der Einsamkeit des Gletschereises gesucht hatte. …
Das war schon ein tolles Ding, damals in den zwanziger Jahren, als es Ernst Krenek in seiner Oper Jonny spielt auf geschafft hatte, die Aufbruchsstimmung einer ganzen Epoche in eine schmissige Bahnhofsszene zu packen. … Wie er die hohe Opernkunst umstandslos mit der Spaßgesellschaft versöhnte, indem er Anklänge an die Tanzmusik der Zeit wie Shimmy, Foxtrott und Swing mit dem schwärmerischen Tonfall des Künstlerdramas vermählte, den er von seinem Lehrer Franz Schreker übernommen hatte. Wie er sich dem damals genau wie heute voranschreitenden Bedeutungsverlust der Kunstform Oper mit Kalkül entgegenstemmte …

Zur Aufführung am Stadttheater Regensburg
Die Zeit, Hamburg
12.4.1968, Dietmar N. Schmidt
Originell geblieben nämlich ist das Verfahren der Partitur trotz Gershwin und Weill und rhythmischer Figuren, die manchmal die heutige Avantgarde vorahnen lassen. Nicht leitmotivisch verteilt, sondern den verschiedensten Personen und Situationen, jeweils überraschend abgewandelt, unterschoben sind die fixen musikalischen Ideen.

Der Skandal anlässlich der Wiener Erstaufführung 1927:
Auf die Aufführung an der Wiener Staatsoper zu Sylvester 1927 reagierten die Nationalsozialisten mit einer Protestkundgebung und riefen auf Plakaten und Flugblättern zu einer „Riesen-Protest-Kundgebung“ auf: „Unsere Staatsoper, die erste Kunst- und Bildungsstätte der Welt, der Stolz aller Wiener, ist einer frechen, jüdisch-negerischen Besudelung zum Opfer gefallen. Das Schandwerk eines tschechischen Haljuden…“

 

Weiterführende Literatur

Claudia Maurer Zenck, Das „Jonny“-Problem. Ein Forschungsbericht, in: Der zauberhafte, aber schwierige Beruf des Opernschreibens. Das Musiktheater Ernst Kreneks, hrsg. von Claudia Maurer Zenck, Argus Verlag, Schliengen 2006, S. 55–77

Albrecht Dümling, Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ als Hassobjekt der Nationalsozialistischen Kulturpolitik, in: Zwischen Charleston und Stechschritt. Schwarze im Nationalsozialismus, hrsg. von Peter Martina und Christine Alonzo i.A. des NS-Dokumentationszentrums Köln, Dölling und Galitz Verlag, München 2004, S. 292–311

Andreas Eichhorn, Amerika als Wunschbild zukünftiger Gesellschaft? Zur Rezeption von Ernst Kreneks Oper Jonny spielt auf, in: Amerikanismus, Americanism, Weill. Die Suche nach kultureller Identität in der Moderne, hrsg. von Hermann Danuser und Hermann Gottschewski, Edition Argus, Schliengen 2003, S. 171–183

ÖMZ 8/9 2000, Ernst Krenek 100 (darin: Symposionsbeiträge, u.a. Peter Tregaer, Der Übergang in Kreneks Musik von „Jonny“ zu „Karl V.“)

Nils Grosch, Ernst Kreneks "Jonny spielt auf" und der Mediencharakter der Zeitoper, in: Alban Bergs Wozzeck und die zwanziger Jahre. Vorträge und Materialien des Salzburger Symposions 1997. Joachim Herz zum 75. Geburtstag, hrsg. von Peter Csobádi u.a., Müller-Speiser Verlag, Anif/Salzburg 1999, S. 521–532

Heinrich W. Schwab, Der Jazzbandgeiger auf der Weltkugel. Anmerkungen zum Schlußbild von Ernst Kreneks Oper "Jonny spielt auf", in: Traditionen – Neuansätze. Für Anna Amalie Abert (1906–1996), hrsg. von Klaus Hortschansky, Hans Schneider Verlag, Tutzing 1997, S. 555–572

Ernst Krenek, Jonny spielt auf, in: Ernst Krenek, Im Zweifelsfalle. Aufsätze zur Musik, Europaverlag, Wien 1984, S. 13–33

Eva Diettrich, Auf den Spuren zu Jonnys Erfolg, in: Studien zur Wertforschung, Band 15, hrsg. von Otto Kolleritsch, Wien und Graz 1982

Ernst Krenek, Jonny erinnert sich (anlässlich der Wiener Aufführung 1980), Manuskript 1980

Artur Hartmann, Jonny spielt auf, in: Sonderheft der Oper von Heute, Nachrichtenblätter der Universal Edition 1 (September 1927), S. 28–38

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